Zur Debatte um Heimatfeindlichkeit und Heimatlosigkeit
Helmut 27.4.2019
Liebe Tina,
fang ich mal bei dem letzten Absatz an: wie kann der Begriff der „Heimat“ zum „Herzenswärmer“ werden?
Eine jeder kennt den Begriff, ein jeder meint zu meinen, was er bedeutet, er scheint harmlos („wo kommst Du her?“ steht für alte Heimat, „wo lebst Du jetzt?“ steht für neue Heimat). Wird der Begriff so gebraucht, ist er harmlos und weiter gehend bedeutungslos.
Aber der Begriff kettet sich an die Gefühle an, die heranwachsende Kinder haben, an die positiven Gefühle des Vertrauens in das Umfeld, Familie usw.
Aber der Begriff schneidet das negative in diesen Erfahrungen des Erwachsenwerdens ab. In der Terminologie von Jean Améry: „Heimat ist Sicherheit“, „das kann zur Verödung und Provinzialismus führen“. Was er nicht schreibt, kann es auch zu Vertreibung, Verfolgung und Mord führen, wie er es am eigenen Leib erfahren hat.
Das Vertrauen in die Umwelt, welches man gewinnt, ist aber auch das „Vertrauen“ darin, dass man weiss, dass man gemobbt wird, dass man sich anpassen muss, die vertraute Angst vor bestimmten Lehrern oder anderen Personen. Die Eltern, die ihr Kind prügeln, sind dem Kind „vertraut“, dass Arbeitsplätze vernichtet werden und und und. Von der negativen Seite von den der „Heimat“ assoziierten Begriffen wird nicht gesprochen.
Und flugs wird der Begriff zur Chimäre. Einmal an die Illusion angekoppelt, wird er für Rechts und andere beliebig benutzbar und alles Bedrohliche kann wem auch immer in die Schuhe geschoben werden.
Letztlich schreibt Jean Améry in seinem Aufsatz „wieviel Heimat braucht der Mensch?“ darüber, was passiert, wenn jemand alles verliert, was zu ihm gehört, sein Land, seine Familie, seine bekannte Umwelt, alles das, was einem wichtig ist. Ich halte es für unglücklich, dass er dafür den Begriff „Heimat“ benutzt hat.
Zum Schluss schreibst Du, mit dem Begriff „Heimat“ würde das Bedürfnis nach einem nicht gefährdeten Ort ausgedrückt und dieses Bedürfnis anzugreifen, erscheint Dir nicht richtig und geeignet, für offene Grenzen zu werben.
Es ist sicherlich schwierig, gegen diesen quallenhaften Betriff „Heimat“ zu polemisieren. Aber es kann schon versucht werden zu zeigen, dass dieses Bedürfnis nach Herzenswärme, nach Sicherheit, die Verhältnisse nicht wärmer, sondern kälter macht. Denn der Begriff „Heimat“ beinhaltet im politischen Gebrauch nicht nur ein Bedürfnis, sondern impliziert gleichzeitig den Weg dahin, wie das Ziel erreicht werden kann. Dass mit der Polemik dagegen heute keine Blumentöpfe zu gewinnen sind, schreibst Du selber.
Zum Schluss:
Im besagten Aufsatz erwähnt Jean Améry auch ein Gedicht von Nietzsche: „Weh dem, der keine Heimat hat“. Ich zitiere es hier einmal vollständig, weil es im II. Teil, in der Antwort auf wen oder was auch immer, den positiven Bezug auf Heimat im ersten Teil korrigiert.
„Die Krähen schrei’n
Und ziehen schwirren Flugs zur Stadt:
Bald wird es schnei’n –
Wohl dem, der jetzt noch – Heimat hat!
Nun stehst du starr,
Schaust rückwärts ach! wie lange schon!
Was bist du, Narr,
Vor Winters in die Welt – entflohn?
Die Welt – ein Tor
Zu tausend Wüsten stumm und kalt!
Wer Das verlor,
Was du verlorst, macht nirgends Halt.
Nun stehst du bleich,
Zur Winter‐Wanderschaft verflucht,
Dem Rauche gleich,
Der stets nach kältern Himmeln sucht.
Flieg’, Vogel, schnarr’
Dein Lied im Wüsten‐Vogel‐Ton! –
Versteck’ du Narr,
Dein blutend Herz in Eis und Hohn!
Die Krähen schrei’n
Und ziehen schwirren Flugs zur Stadt:
Bald wird es schnei’n –
Weh dem, der keine Heimat hat!
II. Antwort
Daß Gott erbarm’!
Dermeint, ich sehnte mich zurück
In’s deutsche Warm.
In’s dumpfe deutsche Stuben‐Glück!
Mein Freund, was hier
Mich hemmt und hält, ist dein Verstand,
Mitleid mit dir!
Mitleid mit deutschem Quer‐Verstand!“